Patanjali Schriftstück in Sanskrit Devanagari Schrift

Ich mag Listen! Sie helfen mir, mich zu strukturieren und mich an Dinge zu erinnern. In diesem Falle, mit den acht Elementen der Yogapraxis, wie ein Algorithmus, eine geordnete, hilfreiche Handlungsanweisung. Wie eine gute Yogastunde – du durchläufst sie, und fühlst dich besser danach. Wenn du unklar bist – durchlaufe diese vertrauten Schritte, und dann schau weiter. Nein, natürlich gibt es keine stets und ständig verlässlichen Rezepte – alles ist in Bewegung und Veränderung. Was heute noch half, tut es möglicherweise morgen nicht mehr. Dennoch: Patanjalis Ashtanga Yoga ist wie eine praktische Liste, die wir nutzen dürfen.

 

 

Ashtanga Yoga: Acht Elemente

Als ich in meiner Yogalehrerausbildung zum ersten Mal von Patanjali erfuhr, war ich begeistert und dankbar für diese glasklare Gliederung (auf jeden Fall der logische Teil meines Gehirns …). Er beschreibt in seinem Werk acht Elemente, die auf dem Yoga-Übungsweg von besonderer Bedeutung sind:

1. Yama – äußerliche Lebensführung
2. Niyama – innerliche Lebensführung
3. Asana – Körperhaltung
4. Pranayama – Atemführung
5. Pratyahara – Rückzug der Sinne
6. Dharana – Konzentration
7. Dhyana – Versenkung, Meditation
8. Samadhi – Erleuchtung

 

Ein guter Plan …

An dieser Stelle möchte ich garnicht näher auf die Bedeutung der einzelnen Elemente eingehen – das haben andere schon sehr viel ausführlicher gemacht als ich es hier kann. Stattdessen fasziniert mich die Wirksamkeit dieses strategischen Vorgehens an sich: Es macht Sinn, sich einen Plan zu machen! Patanjalis acht Schritte mal recht salopp formuliert:

Bevor du irgendwie deine Energien bündelst, frag dich erstmal WOZU? Was sind deine ethischen Richtlinien, deine Art und Weise, wie du mit dir selbst und anderen, mit dir und der ganzen Welt umgehen willst (Yama und Niyama)? Dann ÜBE damit, mit einer klaren Körperhaltung (Asana), die dich widerstandsfähiger macht gegen das Auf und Ab des Alltags und des Lebens, und Atemführung (Pranayama), die dir hilft, dich zu fokussieren (Dharana). Wenn du weiter auf dem Weg gehst, werden deine Sinne freier und unabhängiger (Pratyahara). Du schaffst es, immer tiefer in Kontemplation zu gelangen (Dhyana), bis du schließlich Erleuchtung erfahren darfst (Samadhi).

Bemerkenswert an Patanjalis Vorgehen: Noch bevor er irgendwelche „Techniken“ erläutert oder von Meditation spricht, nennt er zunächst Leitlinien für dein äußerliches, praktisches Handeln und deine innerliche Ausrichtung. Erst dann folgen praktische Übungsanweisungen, und darauf aufbauend wird das Ganze immer feiner und geistiger. Wie eine Yogastunde – innerlich ausrichten, praktisch üben, dann in einen klaren Geist gelangen. Macht Sinn, oder?

 

Ashtanga Sadhana – eine weitere achtgliedrige Yoga-Liste

Diese magischen Acht könnten auch Inspiration gewesen sein für eine weitere „Ashtanga-Liste“, nämlich die Ashtanga-Sadhana von Swami Gitananda. Ashta bedeutet hier wieder „acht“, anga bedeutet „Teil“ und Sadhana bedeutet Übungspraxis oder Übungsabfolge. Swami Gitananda war der indische Yogameister meines Yoga-Ausbilders Ananda Leone, und hat diese achtgliedrige Struktur für einen sinnvollen Aufbau von Yogastunden geprägt. Auch diese hat wieder eine sowohl logisch als auch im direkten innigen Erleben gut nachvollziehbare Gliederung:

1. Mudra – Ankommen
2. Puja – Einstiegsmeditation oder Ritual
3. Mantra – Einstimmung
4. Kriya – Erwärmung, Bewegung
5. Asana – Körperhaltung
6. Pranayama – Atemführung
7. Nishpanda – Entspannung
8. Samyama – Meditation

Ananda hat uns diese in der Ausbildung immer wieder verinnerlichen und umsetzen lassen. Die vorgegebene klare Struktur hat mir besonders am Anfang meiner Laufbahn sehr geholfen, meine Yogastunden zu planen und zu geben – selbst wenn du völlig unvorbereitet irgendwo reinstolperst und eine Yogastunde geben sollst, brauchst du dich eigentlich nur dieser acht Punkte zu erinnern! Es wird dir spontan schon etwas einfallen, womit du sie füllen kannst. Irgendwann bist du dann freier, diese Vorgaben aus guten anderen Gründen und Erfahrungen auch verlassen und abändern zu dürfen. Dennoch ist die Ashtanga Sadhana nach wie vor der Leitfaden für die meisten meiner Yogastunden.

 

Der achtfache edle Pfad bei Buddha

Historiker, die sich mit Patanjali beschäftigen, erkennen in seinem Werk starke Parallelen zu Buddhistischen Texten. Weiterhin gibt es die Vermutung, dass die Yoga Sutras garnicht das Werk eines Einzelnen sind, sondern aus verschiedenen „Federn“ stammen und zusammengefasst wurden. Manche der Textpassagen ähneln dadurch sehr stark buddhistischen Texten, andere weniger. Auffällig ist, dass es schon bei Buddha eine wichtige „Achterliste“ gab, den Achtfachen edlen Pfad, mit dem Buddha den Weg beschreibt, den es zu durchlaufen gilt:

1. Rechte Anschauung – irrige Sichtweisen vermeiden, klare Erkenntnisse erlangen
2. Rechte Gesinnung – gute Absicht
3. Rechte Rede – Lügen, spaltende und scharfe Rede vermeiden
4. Rechtes Handeln – Töten, Stehlen und sexuelles Missverhalten vermeiden
5. Rechte Lebensführung – rechter Lebensunterhalt
6. Rechte Anstrengung — freudiges Üben und Streben
7. Rechtes Gewahrsein – Achtsamkeit, im Hier und Jetzt sein
8. Rechte Konzentration – Versenkung, einen steten, ruhigen und aufmerksamen Geist entwickeln

Auch diese acht Punkte beginnen also mit einer innerlichen Ausrichtung (1 und 2), machen dann Empfehlungen für das praktische Handeln (3 bis 5), und münden dann in mehr geistig verfeinerte Ebenen (6 bis 8). Dabei ist natürlich jeder einzelne Punkt für sich jederzeit wichtig, und nicht zwingend in einer zeitlich festgelegten Reihenfolge „abzuhaken“. Ich denke man kann trotzdem nachvollziehen, dass die Liste nicht mit Punkt 8 und einem „von null auf hundertachtzig“ stillen Geist beginnt. Zunächst gilt es andere, „grobere“ Dinge in der Reihenfolge anzugehen und zu bewältigen. Diese helfen dann, zu einem stillen Geist zu gelangen.

Man darf also vermuten, dass diese acht Punkte Buddhas Inspiration auch für Patanjali waren. Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass zu verschiedenen Zeiten verschiedene Menschen sich ähnlich guter Ideen bedient haben. Vermutlich haben sie hilfreiche Erkenntnisse ihrer Vorgänger aufgegriffen, um ihre eigenen Erfahrungen ergänzt und das hinzugefügt oder weggelassen, was Ihnen bedeutungsvoll erschein oder nicht. Für mich ist das immer wieder die ganz klare Einladung, ähnlich verfahren zu dürfen: Wir sollten die Weisheiten, die in diesen Überlieferungen stecken, ehren und respektieren. Gleichzeitig dürfen wir für uns selbst entscheiden, was uns wichtig und hilfreich ist, was uns in unserer heutigen Situation unterstützen kann.

 

Ashtanga Yoga – was ist DEINE Liste?

Damit komme ich zurück zu meiner Eingangsaussage, warum ich Listen mag: Weil sie praktische Werkzeuge sind, die uns helfen! Mal benutzt du ein Werkzeug, das ein anderer Werkzeugmacher hergestellt hat. Mal änderst du es ab, oder schmiedest gänzlich dein eigenes, weil dein Werkstück es grade erfordert. Ohne Werkzeug jedoch stehst du ziemlich nackt da.

Und darum lade ich dich ein, nicht nur die körperlichen Werkzeuge des Yoga zu benutzen, wie die Asanas oder Bewegungen, sondern auch diese geistigen. Die Ashtanga Sadhana … die Yamas und Niyamas … die 10 Tugenden … die Vier Schritte … die Chakras von Fuß bis Kopf in der Meditation – was auch immer! Sie kommen zunächst nüchtern theoretisch daher, doch geben sie spürbare praktische Hilfe.

Du darfst auf Vorgefertigtes zurückgreifen, oder deine eigene Abfolge von Schritten entwickeln: Was hilft dir gerade? In meinem Achtsamkeitstagebuch, das ich immer in der Tasche habe, stehen ganz vorne stets einige dieser Werkzeuge drin. Mal nutzt mir das eine, mal das andere. Manche sind traditionell, andere habe ich selber zusammengestellt und für mich festgehalten. Wann immer du „mit bloßen Händen“ nicht weiterkommst – nutze ein Werkzeug! Lass dir helfen. Es ist diese Erfahrung, die du vielleicht schonmal in deinem Yogastudio gemacht hast: Es ging dir nicht gut, du hattest keinen Bock, hinzugehen. Dann bist du doch gegangen, hast die Stunde (mit ihren Schritten) durchlaufen – und es ging dir besser danach.

Immer wieder: Just do it – mach die Schritte!
Das ist für mich Ashtanga Yoga.

 

 

Namasté,
Steffen

 

 

 

 


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